Bei mir ist es gerade kurz nach 22 Uhr, meine Mitbewohner sind alle ausgeflogen. Für ein paar Stunden gehört das Apartment also mir. Mir ganz allein. Doch anstatt nackt im Flick Flack durch die Wohnung zu springen und anstößige Abdrücke auf dem Fensterglas zu hinterlassen, sitze ich lieber im Wohnzimmer auf unserem etwas verschlissenen Ledersofa. Angezogen! Vor mir nur mein Laptop und Bob Marley, der sich über die Kopfhörer in meine Gehörgänge swingt. Der Raum schlummert im warmen Licht der offenen Küche. Draußen plätschert der Regen gelangweilt vor sich hin, so wie er es schon die letzten Tage getan hat. Wäre es ein paar Grad kälter, würde es sicherlich schneien. Aber das hat es hier schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Ironischer Weise hat das hier fast was von Frühling. Entgegen aller meiner Erwartungen an die klirrende Kälte Kanadas.
Endlich habe ich mal wieder Zeit gefunden, eine elektronische Leuchtrakete in den Bloghimmel zu schießen, die Euch wissen lässt, dass ich noch am Leben bin.
Doch gleich vorneweg: Wer von Euch verhätschelten Gefolgslmännern und -männinen allerdings ein derartiges Feuerwerk an Bildgewalt und Witz, wie beim letzten Eintrag erwartet, den muss ich enttäuschen. Dafür ist in letzter Zeit einfach zu wenig passiert. Die Ereignisarmut der vergangenen Wochen hat auch einen (guten) Grund.
Es fällt mir weiß Gott nicht leicht, aber es ist für mich an der Zeit, einen ernsteren Ton an zu schlagen. Es handelt sich um folgendes. Ein längst besiegt geglaubter Dämon hat mich nach Monaten der Askese unverhofft heim gesucht. Eine Sucht, gegen die ich seit Jahren vergebens ankämpfe. Viel zu lange schon habe ich es abgestritten, mir in die eigene Tasche gelogen, gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Doch jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, der mir keine andere Wahl lässt, keinen Fluchtweg mehr bietet. Ich habe nur dann eine Chance, wenn ich mich der Öffentlichkeit stelle und ihr die brutale Realität serviere. Der Moment der Wahrheit ist gekommen
Jawohl, ich bin ein Workaholic.
Und ein ganz übler obendrein. Wie schon erwähnt, konnte ich mich etliche Monate der Versuchung entziehen. Jedem verlockenden Jobangebot habe ich die kalte Schulter gezeigt. Doch nach einem nächtlichen Anfall von Angstzuständen und Schüttelfrost vermochte ich meinem Verlangen nicht länger zu widerstehen. Ich habe mir einen Job gesucht. Zu Beginn vom Stress noch paralysiert, habe ich mich schnell in einen Rausch malocht. Wie wir wissen, liegt die Gier in unserer Natur. Und eben jene war es auch, die mich jetzt dazu getrieben hat, mir auch noch einen zweiten Job zu suchen. Je mehr ich dagegen ranklotze, desto tiefer sinke ich im Dienstleistungssumpf. Das Klacken der Stechuhr wie eine tickende Zeitbombe.
Verdammt sei er, dieser Teufels-Arbeitsablauf !
Die gute Nachricht ist, ich habe mir Hilfe in Form eines Therapeuten geholt. Ab und an unternehmen wir gemeinsam etwas. Dinge, die nichts mit Arbeit zu tun haben. Das sei äußerst wichtig, behauptet mein Therapeut. Deshalb schauen wir uns die Stadt an, besuchen Eishockeyspiele oder bekämpfen zusammen Ungeziefer.
Ein bis zwei Mal die Woche halten wir zusätzlich eine Sitzung ab, in der wir uns mittels diverser
Betäubungsmittel in hypnose-artige Zustände begeben.
Ein "transzendentes tête-à-tête", wie er es nennt.
Für Ende April hat er mich für ein einwöchiges Rehabilitationsprogramm auf Honolulu angemeldet. Dort soll ich mich fern vom Alltag und jeglicher Arbeit ausruhen und neue Kraft tanken. Ich denke, das wird mir ganz gut tun (meint mein Therapeut jedenfalls).
All den Leidensgenossen da draußen, die ebenfalls unter dieser Abhängigkeit leiden, denen möchte ich Mut zu sprechen und sage:
Keine Macht dem Working Holiday!
Nur Holiday tut´s auch.
Und meine lieben Freunde, ich zähle auf Eure Unterstützung in dieser schweren Zeit.
Alles Liebe,
Euer Felix